Donnerstag, 3. Dezember 2015

1. QUARTALSBERICHT

Das erste Stück vom Kuchen

In ein paar Tagen werde ich meine Zahnbürste wegwerfen. Vier hatte ich im Gepäck, eine für drei
Monate, wie vom Zahnarzt empfohlen. Und schon ist es soweit, die Zeit ist wie im Flug vergangen.
Ich kann kaum glauben, dass schon drei Monate um sind.
Als wir hier ankamen, war natürlich erst einmal alles neu: Die Leute mit denen ich zusammen
wohne. Die Wohnung selbst mitsamt der Umgebung. Die Arbeit. Eine andere Sprache, bzw. 11
andere Sprachen.
Fangen wir von vorne an. Nach einer gefühlten Ewigkeit sind wir im Museumspark angekommen.
Wir müssen lustig ausgesehen haben, 11 Deutsche, angezogen wie es sich im kalten Flugzeug
gehört. Mit unseren Jacken und Fleecepullovern standen wir bei 25 Grad abends um sechs vor
unserer neuen Wohnung. Wir hatten gerade Bekanntschaft mit dem Chana gemacht, dem Auto von
Akanani, das vor einigen Jahren schon schrottplatzreif war, und waren dementsprechend froh, die
Fahrt bei Gewitter überlebt zu haben. Sowieso mega aufgeregt, weil schließlich ein Jahr Südafrika
vor uns liegt. Sogleich kamen Frieda und Lisa aus der Tür, die schon eine Woche vor uns ankamen.
Wir verbrachten den Abend mit Kennenlernen und dem Einrichten der Zimmer. Unsere Wohnung
ist sehr alt, etwas heruntergekommen und gezeichnet von den vorherigen Freiwilligen, sie hat also
Charakter. Nach und nach haben wir in den drei Monaten schon unsere Note hinzugefügt und auch
die Tücken kennen gelernt, die wir immer wieder finden: Den Herd darf man nicht gleichzeitig mit
dem Fön benutzen, außerdem nicht die falschen Herdplatten und von den zwei Öfen funktioniert
nur einer. Die Tür von der Toilette im Badezimmer konnte man anfangs nicht abschließen
(mittlerweile haben wir ein Schloss) und der Wasserhahn im großen Bad ist undicht. Aber wir haben
die Wohnung lieben gelernt! Als Marlies meinte, dass wir eventuell umziehen in eine andere
Wohnung, haben wir sofort alle abgelehnt. Trotz einiger Macken fühlt man sich total wohl, richtet
sich nach und nach immer mehr ein und gewöhnt sich an das ständige Miteinander, was auch besser
funktioniert, als ich erwartet habe. Mein ganzes Leben lang habe ich mit meinen Eltern verbracht,
mit nie mehr als drei anderen Leuten im Haus, Besuch ausgeschlossen. Jetzt sind plötzlich 12 um
mich: zehn Deutsche, eine englische Krankenschwester und eine Studentin aus dem Kongo. Im
Wohnzimmer ist immer jemand, und auch in Annas und meinem Zimmer findet man keine Ruhe.
Wir nutzen das öffentliche WLAN der Stadt, welches noch nicht überall funktioniert. In unserem
Zimmer hat man super Empfang, weswegen ich regelmäßig jeden Abend mein Bettlaken wieder neu
aufziehen muss, weil so viele Leute immer vom Bett rutschen. Von Ruhe kann man in der WG also
nicht reden, aber da gewöhnt man sich schnell dran. Zum Glück sind auch alle sehr nett, es ist
keiner dabei dem ich aus dem Weg gehen muss, weil wir uns streiten würden. Und bei so vielen
Leuten ist es auch einfach, mit anderen etwas zu unternehmen, wenn man auf die einen zeitweise
keine Lust mehr hat.



Mit uns im Museumspark, aber in anderen Wohnungen, leben außerdem viele Künstler, die
freitagabends regelmäßig Musik machen. Wir setzen uns dann runter, trinken ein bisschen was und
unterhalten uns mit den Künstlern und Besuchern. Nach drei Monaten haben wir auch unter denen
schon Freunde gefunden, mit denen wir uns treffen. Es ist eine angenehme Abwechslung, neben den
Arbeitskollegen auch mal andere Menschen um sich zu haben, vor allem weil die Künstler alle sehr
speziell sind - im positiven Sinne.
Was mich zum nächsten Teil bringt: Die Arbeit. Nach der Ankunft habe ich die ersten zwei Monate
ausschließlich im Potters House verbracht, einer Unterkunft für Opfer häuslicher oder
geschlechtsbasierender Gewalt. 23 Frauen mit 20 Kindern haben Platz im Potters House, die Betten
sind eigentlich immer alle belegt. Die Geschichte der Frauen sind alle unterschiedlich, aber doch
ähnlich: Vergewaltigung teilweise mit AIDS als Folge, versuchter Mord, schlagende Partner,
Unterdrückung, Stalking. Jede einzelne Frau hat eine Vergangenheit, die man seinem schlimmsten
Feind nicht wünscht, und fast alle haben Kinder, egal ob 20 oder 40 Jahre alt. Da fragt man sich
schon manchmal, ob die Kinder geplant waren oder das Ergebnis von Vergewaltigung... Zusammen
mit den anderen Arbeitern im Potters House haben Frieda und ich Workshops geplant und
durchgeführt, Laptops eingerichtet, mit denen die Frauen Computerkurse bekommen sollen, die
Bewohner vom Potters House kennen gelernt und uns nach und nach mit einigen angefreundet.
Nachmittags findet von Montag bis Freitag das Homework Center statt, bei dem wir mit zwei
Frauen erst Mittag für die Kinder vorbereiten und ihnen dann bei den Hausaufgaben helfen. Das ist
teilweise sehr anstrengend, denn auch 8 Kinder können einen Höllenlärm veranstalten. Aber
irgendwie schließt man sie doch ins Herz. Einige sind einfach unglaublich süß, andere unglaublich
anstrengend, aber alle haben sie diese Art, dass man sie einfach mögen muss. Wenn ich aus
irgendeinem Grund mal eine Woche nicht da war, vermisse ich die Kinder und freue mich, wenn ich
welche auf der Straße treffe oder wieder beim Homework Center bin. Wenn sie mal keine
Hausaufgaben aufhaben, können wir mit ihnen auch in den Park gehen, Papierflieger basteln und
spielen, was die Bindung noch mehr stärkt, und auch bei den Kinderprogrammen, bei denen wir
teilweise teilnehmen, sind viele dabei. Um die Arbeit mit Kindern kommt man hier also nicht ganz
rum, was ich aber sehr gut finde, denn anders als gedacht würde ich es vermissen, gar nichts mit
Kindern zu machen. Die Vorfreude auf die Schulferien, in denen wir ein Programm für die Kinder
auf die Beine stellen, ist also immer groß und auch der Dezember wird aus dem Holiday Program
bestehen.


Seit fast einem Monat arbeite ich nicht nur im Potters House, sondern auch bei Akanani. Akanani ist
ein Zentrum für Obdachlose, in dem Frühstück ausgeteilt wird und morgens eine kleine Andacht
stattfindet. Außerdem haben wir ein life skill program auf die Beine gestellt, mit dem wir
versuchen, die Obdachlosen wieder zum richtigen Leben zurück zu führen. Diese Woche haben Joni
und ich zum Beispiel einen Vortrag über Kommunikation gehalten und in dem Zusammenhang ein
kurzes Bewerbungsgespräch simuliert, um den Männern zu zeigen, wie sie sich verhalten, was sie
gut machen und was sie verbessern können. Dann findet Mitte Dezember ein Schachturnier einer
anderen Organisation statt, bei dem wir mit einem Team teilnehmen wollen. Also üben wir fleißig
Schachspielen, haben neue Bretter organisiert und bringen den Interessenten die Regeln und
Strategien bei. Außerdem ist ein Fußballteam in Planung, welches zweimal die Woche trainiert und
den Männern eine gewisse Struktur in ihren Tag bringt. Wir versuchen auch, sie bei der Jobsuche zu
unterstützen. Mit der Zeit gewöhnen sich die Männer an einen, unterhalten sich und bleiben auch
länger als bis nach dem Frühstück.



Dienstags und Donnerstags machen wir einen Outreach in der Nacht, was hier so viel wie sieben
Uhr abends heißt. Wir fahren mit dem Auto zu Punkten, an denen viele Obdachlose leben, und
verteilen Suppe und Brot. Teilweise habe ich das Gefühl, dass das die einzige warme Mahlzeit ist,
die die Männer die ganze Woche bekommen. Diese Woche waren wir beispielsweise bei
Flüchtlingen, und statt sich in einer Reihe an den Kofferraum zu stellen, stand plötzlich ein riesiger
Pulk hinter mir, Hände haben in den Kofferraum gegriffen und die Schalen geholt, in denen wir die
Suppe verteilen, Hungerrufe nach Suppe haben plötzlich alles übertönt. In solchen Momenten wird
mir immer klar, wie privilegiert wir es in Deutschland haben und dass die Probleme, über die wir
uns tagelang den Kopf zerbrechen, Träume von diesen Menschen sind.
Im alltäglichen Leben ist die Arbeit bei Akanani ein riesiger Vorteil. Wir lernen die Obdachlosen
kennen, sie lernen und kennen und gehen auch zwischen Konflikte, die uns auf der Straße
zwangsläufig ab und zu begegnen. Als wir zum Beispiel sehr aufdringlich nach einem Job gefragt
wurden und nach mehrmaligem Verneinen die Fragenden uns immer noch folgten, kam ein
Obdachloser und hat ihnen eindringlich erklärt, dass sie uns in Ruhe lassen sollen und wir keine
Arbeit haben. In unserer Freizeit machen wir während der Woche meist nicht so viel, weil wir nach
der Arbeit meist erst gegen vier nach Hause kommen und wir Zuhause sein müssen, wenn es dunkel
wird. Meist erledigen wir Einkäufe, spielen Spiele oder machen Sport. Die richtigen
Unternehmungen machen wir am Wochenende. Wir waren schon in einem kleinen Nationalpark,
waren auf Geburtstage eingeladen, haben selbst welche gefeiert und haben einige
Sehenswürdigkeiten hier gesehen. Zusammen mit einigen Einheimischen Freunden haben wir
natürlich auch Clubs und Bars erkundet. :-)
Einige typisch südafrikanische Dinge möchte ich zum Schluss noch mit euch teilen. Stellt euch vor,
ihr fahrt ganz normal (wobei ganz normal heißt, kreuz und quer, alle hupen und keiner achtet auf
irgendwelche Regeln oder Ampeln) über die Straße und seht einen Autositz aufgestellt zwischen
zwei Steinen. Dann wisst ihr, da ist ein stehengebliebener Bus. Andere Situation, die Anna und ich
gerade erlebt haben: Wir sitzen im Restaurant, wollen mit Karte bezahlen. Der Kellner kommt mit
dem Gerät. Zehn Minuten später sitzen wir immer noch da, weil das Gerät sich nicht mit dem Netz
verbindet. Eine Angewohnheit, an die wir uns mittlerweile gut angepasst haben: Die
südafrikanische Zeit. Meeting um 3, zehn Minuten Arbeitsweg. Wann geht man los? Natürlich. Um
3, wenn man das schafft. Mit der Zeit kann man einschätzen, welche Leute wie viel zu spät
kommen. Wir gehen meistens zum vereinbarten Zeitpunkt los und sind höchstens 15min zu spät,
Freunde von uns kommen mindestens eine halbe Stunde später. Eigentlich müsste ich diesen Brief
also erst in ein paar Tagen schreiben, aber so ein bisschen Deutsch bin ich schon noch. Ich bin
gespannt, wie die nächsten 9 Monate verlaufen, aber die Zeit fliegt und jeden Tag aufs Neue wird
mir klar, dass die Entscheidung, herzukommen, die richtige war. Die andere Kultur, die anderen
Gewohnheiten, das andere Essen - es ist einfach komplett anders, etwas, das ich so nie in
Deutschland erlebt hätte und auch in keinem anderen Land.
Ich möchte mich abschließend bei allen Bedanken, die mir dieses Jahr ermöglicht haben und mich
dabei unterstützen. Es ist eine einmalige Erfahrung, die ich nie vergessen werde. Danke dafür!


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